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Erfahrungsbericht: Craniosacral Therapie bei Demenz
Der vorliegende Bericht basiert auf Erfahrungen der Craniosacral Therapeutin Orsolina Bundi-Lehner. Er wurde journalistisch aufbereitet und mit Fachinformationen ergänzt.


Es ist ein schöner Sommernachmittag. Draussen auf der Terrasse geniessen einige Bewohnerinnen und Bewohner der Stiftung Haus Serena ihren «Z Vieri Kaffee». Drinnen wartet eine Bewohnerin auf ihre Craniosacral Therapie Behandlung. «Hier wird diese Therapie nicht wie ein Rezept verordnet. Wer eine Behandlung möchte, der darf sie erhalten», erklärt die hier angestellte Craniosacral Therapeutin. Dieses Vorgehen entspricht den Grundsätzen des Kompetenzzentrums Haus Serena, das Menschen mit einer Demenzerkrankung einen angemessenen Wohn- und Lebensraum bietet: Individuelle Bedürfnisse werden berücksichtigt, noch vorhandene Ressourcen gefördert und gefestigt. Ziel ist der Erhalt oder die Verbesserung der Lebensqualität und des Wohlbefindens der Bewohnerinnen und Bewohner.


Regulierung des Nervensystems
Die Erfahrungswelt von Demenzkranken zu verstehen und entsprechend darauf zu reagieren, ist von grosser Bedeutung, aber nicht immer einfach. Sehr oft sind Betroffene von einer inneren Unruhe geplagt, welche sich sowohl auf ihr Verhalten als auch auf die Gesundheit in verschiedenster Art und Weise auswirkt. Die Palette ist gross und reicht von Schlaf- und Verdauungsstörungen über Verkrampfungen bis zu Angstzuständen. Gerade die Schlafprobleme wirken sich vielfach negativ aus. Verkürzte Non-REM-Phasen führen dazu, dass Erinnerungen und Informationen des Tages nicht mehr genügend und richtig verarbeitet werden. Chronisch beeinträchtigter Schlaf führt zu reduzierter Aufmerksamkeit, beeinträchtigt das Erinnerungsvermögen und verstärkt die innere Unruhe. Es ist daher zentral, dass Betroffene Momente der Ruhe erleben, in denen sich ihr Nervensystem regulieren kann.


Wohltuend und ausgleichend
Hier setzt die Craniosacral Therapie an: Sie achtet darauf, dass sich Klientinnen und Klienten innerlich entlasten können und ein Gefühl von Wärme, Geborgenheit und Einheit erfahren. Dies ermöglicht mehr Orientierung und das Finden eines neuen inneren Gleichgewichts. Oftmals gelangen Klientinnen und Klienten während der Behandlung in einen schlafähnlichen Zustand. Die Wirkung bleibt jedoch nicht auf die einzelne Sitzung begrenzt. Bei regelmässigem Behandlungsrhythmus, z.B. wöchentlich, später in grösseren zeitlichen Abständen, sind oft erfreuliche Verhaltensänderungen sichtbar. Diverse Studien bestätigen eine allgemeine Verbesserung des Schlafverhaltens, was wiederum die Hirnleistung positiv beeinflusst. Bei beginnender wie bereits ausgeprägter Demenz wirkt Craniosacral-Therapie unterstützend.
Die wohltuende und ausgleichende Wirkung von Craniosacral Therapie nehmen auch Aussenstehende wahr: «Ich erhalte viele Rückmeldungen von Angehörigen der Bewohnerinnen und Bewohnern. Sie bedanken sich bei mir, weil sie merken, wie gut diese Therapie ihren Liebsten tut», erzählt die Craniosacral Therapeutin.

 

Preisgekrönte Studie bestätigt Wirkung
Auch die preisgekrönte wissenschaftliche Studie von Dr. Heidemarie Haller belegt eine Verbesserung des Schlafes durch Craniosacral Therapie. Anhand von Patienten mit chronischen Nackenschmerzen hat sie herausgefunden, dass Craniosacral Therapie sowohl Schmerzen signifikant lindert als auch den Schlaf der Probanden verbessert und ihre Ängstlichkeit erheblich reduziert. Wie es in der Studie heisst, gingen mit Entspannungsphänomenen auf struktureller Ebene «auch emotionale Lösungsprozesse einher, die als Erleichterung und Befreiung empfunden wurden. Patienten beschrieben Gefühle wie Glück, Frieden und Zuversicht.».


Eine bedeutende Entscheidung
Die Therapeutin bestätigt die schmerzlindernde und regulierende Wirkung. Viele ihrer Klientinnen und Klienten weisen gängige Begleiterscheinungen einer Demenzerkrankung auf. In einer Craniosacral Therapie Sitzung können sie die Erfahrung machen, einen Moment bewusst oder unbewusst Entlastung wahrzunehmen. Dadurch gelingt es ihnen auch ausserhalb der Therapiesitzung besser, diesen leichteren Zustand wiederzufinden. Am Beispiel von Herrn R. beschreibt die Craniosacral Therapeutin eindrücklich die tiefgreifende Wirkung. Herr R. erlitt bei einem Sturz einen Beckenbruch. Der darauffolgende lange Spitalaufenthalt führte dazu, dass er immer schwächer wurde. Seine Bewegungen waren stark eingeschränkt, Gehen war kaum mehr möglich. Sein Gesundheitszustand verschlechterte sich zusehends. Schmerzen, Ängste und starke Unruhe nahmen zu. Nach kurzer Zeit wurde Herr R. bettlägerig. Sein Körper versteifte sich immer mehr. Dem Vorschlag einer Behandlung mit Craniosacral Therapie stimmte Herr R. relativ schnell zu.


Stärkung der Selbstheilungskräfte
Die Craniosacral Therapie ist eine Behandlung, die bekleidet und in der Regel im Liegen stattfindet. Die Therapeutin nimmt mit ihren Händen feine, unwillkürliche Rhythmen und deren Qualitäten im System ihres Klienten wahr. Sie erkennt und behandelt mit sanften Berührungen Spannungsmuster und unterstützt mit unterschiedlichen, subtilen Ansätzen den Selbstheilungsprozess von innen her. Ziel ist es, die körpereigenen Regulationsmechanismen zu stärken und einen ausgeglichenen Zustand in Körper, Geist und Seele zu schaffen.


Vertrauen durch Berührung
Ganz sachte und in kleinen Schritten hat die Craniosacral Therapeutin Zugang zu Herrn R. erhalten. Durch ihre achtsame Absprache und die feinen Berührungen fasste er Stück für Stück Vertrauen. Er konnte mehr und mehr loslassen, sein Wesen wurde ruhiger, seine Atmung tiefer und sein Schlaf besser. Durch die zunehmende innere Ruhe liessen seine Verspannungen allmählich nach und sein steifer Körper wurde dynamischer. Für Herrn R. war dies eine grosse Entlastung. Kleine Bewegungen waren wieder möglich, erst liegend, dann allmählich auch im Sitzen. Körperfunktionen zeigten deutlich eine Normalisierung und Regelmässigkeit, wenn auch in einem gemächlichen Tempo. Eines Tages verspürte er wieder ein Bewegungsbedürfnis und konnte so, wenn auch mit Hilfe, wieder aufstehen. Sogar einige Schritte mit dem Rollator waren möglich.
Kognitiv war Herr R. zu dieser Zeit durch seine Alzheimer-Erkrankung sehr eingeschränkt, doch er schien sich weniger zu fürchten und seine letzten Momente im Leben ruhiger, schmerzfreier und angstfreier zu erleben.


Zur Unterstützung des Hormonsystems
Die Craniosacral Therapeutin erzählt, dass sie bei ihren Klientin
nen und Klienten oft mit dem Ventrikelsystem in Kontakt tritt. In den Ventrikeln wird der Liquor cerebrospinalis produziert. Dieser versorgt die Hirnzellen mit Nährstoffen, Hormonen und Neuropeptiden. Zudem steht das dritte Ventrikel in enger Verbindung mit dem limbischen System, dem Hormonsystem und mit Strukturen, die wichtig für die Informationsübermittlung, Regulation und Steuerung des Körpers sind. Indem die Therapeutin mit der Craniosacral Therapie die Zirkulation des Liquors begleitet und unterstützt, stärkt sie die Regulation all dieser Strukturen und ihrer Funktionen.


Die innere Ruhe finden
Auch bei Frau S. konnte mit Hilfe von Craniosacral Therapie eine positive Veränderung im letzten Lebensabschnitt beobachtet werden. Frau S. hatte steife Glieder, ihr Körper war geschwächt und jegliche Art von Bewegung war mit starken Schmerzen verbunden.
Dies machte sie gereizt und unberechenbar, auch gegenüber ihren Mitbewohnerinnen und Mitbewohnern. Eine innere Unruhe liess sie trotz Schmerzen auf Stühle und Tische klettern – womit sie sich immer wieder selber in Gefahr brachte. Nachdem sie sich bei einem Sturz einen Halswirbel gebrochen hatte, nahm Frau S. das Angebot der Craniosacral Therapie in Anspruch. Während den Behandlungen lag sie ganz ruhig auf der Liege. Schon nach wenigen Sitzungen war zu spüren, wie sich eine Art Frieden einstellte. Mit der Zeit wurde Frau S. ruhiger. Weder kletterte sie weiterhin auf Stühle,
noch bedrängte sie ihre Mitmenschen. Stattdessen ging sie in den Garten, pflückte Blumen und verschenkte diese dann lachend. Eines Tages sass Frau S. mit ihrer Betreuerin im Aufenthaltsraum und spielte mit ihrer Perlenkette, an der sie sehr hing. Sie schien voller Ruhe und Zufriedenheit zu sein. Auf einmal, ganz bewusst, zog sie die Perlenkette aus und schenkte sie der Betreuerin. In derselben Nacht schlief Frau S. für immer friedlich ein.


Körperliche, psychische und seelische Entlastung
Die Erfahrungen aus dem Haus Serena zeigen sehr deutlich die weitreichende Wirkung der Craniosacral Therapie, auch wenn eine Behandlungssequenz nicht immer «Heilung von einer Krankheit» bedeutet. Bei Menschen mit einer Demenzerkrankung liegt die Bedeutung dieser Therapie vor allem in der körperlichen, psychischen und seelischen
Entlastung. Oft geht es darum, dass die Klientinnen und Klienten den Weg, den sie bisher gegangen sind, in einer würdevollen, schmerzfreieren, angstfreieren Weise zu Ende gehen können. Dass sie innere Ruhe finden und loslassen können.


Kästchen:
Die Craniosacral Therapie ist eine eidgenössisch anerkannte Methode der KomplementärTherapie. Zusatzversicherungen übernehmen in der Regel mindestens einen Teil der Behandlungskosten. Die Schweizerische Gesellschaft für Craniosacral
Therapie Cranio SuisseÒ vertritt die Interessen der Craniosacral Therapeutinnen und Therapeuten in der Schweiz. Sie zählt über 1'200 Mitglieder und setzt sich für Qualität und Anerkennung der Methode ein. Auf ihrer Webseite finden sich weitere Informationen und eine Liste mit qualifizierten Therapeutinnen und Therapeuten:
www.craniosuisse.ch

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